Am 6. September haben in Mailand rund 25.000 Linke gegen die Räumung des Centro Sociale Leoncavallo demonstriert. Die Räumung wurde von der faschistischen Meloni-Regierung in Rom gegen den Willen der Mailänder Stadtregierung angeordnet. Formal kommt der Räumungsbefehl von Innenminister Matteo Piantedosi, aber es ist für alle offensichtlich, dass es sich um eine Racheaktion des Vize-Ministerpräsidenten Matteo Salvini handelt: Salvini stammt aus Milano.
Auf der Leoncavallo-Demo waren das gesamte linksradikale Spektrum und Progressive aus allen Teilen der Zivilgesellschaft vertreten. Bei einer Vorabdemo von 5.000 Linksradikalen wurde kurzzeitig die „Pirellino“-Baustelle besetzt, die im Zentrum eines Korruptionsskandals steht.
Auf Bannern an der Hochhaus-Baustelle war zu lesen: „Occupare è giusto“ („Besetzen ist berechtigt“) und „Contro la città dei padroni“ („Gegen die Stadt der Besitzenden“). Die Baustelle war anschließend pink und es wurde entlang der Route ohne Probleme viel gesprayt.
Später gab es einen weiteren Bannerdrop mit dem Motto „Giù le mani dagli spazi sociali“ („Hände weg von den sozialen Räumen“). Bei bestem Wetter wurden mehrfach Feuerwerk und viele bunte Rauchtöpfe gezündet: „Potranno tagliare tutti i fiori, ma non fermeranno mai la primavera.“ („Sie können alle Blumen abschneiden, aber sie werden den Frühling nie aufhalten.“)
Neben dem Kampf gegen Gentrifizierung und Repression war der Krieg und die Hungerblockade in Gaza durch die israelische Regierung die bestimmenden Themen. Am Ende konnte die Demo auch noch auf den Piazza del Duomo ziehen, was ursprünglich aufgrund einer „kirchlichen Veranstaltung“ untersagt worden war.
Aus diesem Grund war als Zielort der Demonstration zunächst die Piazza Fontana unweit des Domplatzes gewählt worden. In Milano begann mit dem Anschlag vor der Banca Nazionale dell’Agricoltura mit 17 Todesopfern und 88 zum Teil Schwerverletzen am 12. Dezember 1969 die „Strategie der Spannung“.
Damals versuchte der Staat mit Hilfe rechtsradikaler Terrorgruppen die gewerkschaftlichen Erfolge der Jahre 1969 bis 1972 zu untergraben. Indem sie Bomben legten und Zügen entgleisen ließen, sollte autoritäre Politik bis hin zu einem Putsch legitimiert werden.
Denn für die Gewalttaten der Faschisten wurden Linke verantwortlich gemacht. Der Anarchist Giuseppe Pinelli starb, nachdem er drei Tage nach dem Bombenanschlag bei einem Verhör aus einem Fenster im vierten Stock der Mailänder Polizeiwache „stürzte“. Pinelli war Mitglied des Circolo Anarchico Ponte della Ghisolfa (Brücke von Ghisolfa, ein Stadtviertel Mailands) und des Anarchist Black Cross. Der 2016 verstorbene Mailänder Autor Dario Fo verarbeitete den Polizeimord literarisch in „Morte accidentale di un anarchico“ („Zufälliger Tod eines Anarchisten“, EPUB in italiano).
Der Anarchist Pietro Valpreda wurde verhaftet und saß drei Jahre unschuldig in Untersuchungshaft. Valpreda wurde wahrscheinlich von dem Hauptbelastungszeugen, einem Taxifahrer, mit Antonio Sottosanti von „Ordine Nuovo“ verwechselt. Sottosanti sah Valpreda frappierend ähnlich und hatte kurz vor dem Anschlag anarchistische Zirkel infiltriert.
Die Fälle Valpreda und Pinelli spalteten Italien und radikalisierten weite Teile der StudentInnen- und ArbeiterInnenbewegung. Viele Rechte glaubten weiterhin an die von Polizei und Staat verbreitete Version, während weite Teile der liberalen Öffentlichkeit die Affäre als eine Mischung aus Verschwörung und Vertuschung betrachteten.
Die Unfähigkeit des Staates, die Verantwortlichen zu finden oder strafrechtlich zu verfolgen (der achte Prozess in diesem Fall begann im Jahr 2000 und endete schließlich mit einem Freispruch), verstärkte die Unzufriedenheit mit den Behörden nur noch.
Inzwischen tauchten Beweise auf – die die Polizei ignoriert hatte – die nahelegten, dass Faschisten die Bomben mit aktiver Unterstützung von Teilen des italienischen Geheimdienstes gelegt hatten. Valpreda wurde erst 1987 aus Mangel an Beweisen vom Kassationsgericht in Rom freigesprochen. Der Mord an Giuseppe Pinelli wurde nie aufgeklärt.
Die „Strategie der Spannung“ wurde bis 1984 fortgesetzt. Der tödlichste Anschlag wurde am 2. August 1980 verübt, als eine Bombe in einem überfüllten Warteraum des Hauptbahnhofs von Bologna 85 Menschen tötete. Verantwortlich für dieses Massaker sind „Ordine Nuovo“, der italienischen Militärgeheimdienst „Servizio per le Informazioni e la Sicurezza Militare“ und die Geheimloge „Propaganda Due“.
Presse (zur Leoncavallo-Demo): Il Manifesto |
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