Am Morgen des 12. August 1944 stiegen Kampftruppen der Deutschen Wehrmacht und SS zum abgelegenen Bergdorf Sant’Anna di Stazzema in der Toskana auf. Die Wehrmacht war damals nach der erfolgreichen Landung alliierter Truppen auf Sizilien auf dem Rückzug nach Norden. Der Zivilbevölkerung rund um Sant’Anna wurde befohlen, das Gebiet zu räumen, was diese verweigerte. In Sant’Anna massakrierten die Nazis alle, die sie antrafen: vor allem Kinder, Frauen, alte Männer, denn die jüngeren Männer waren nicht im Dorf. Sie verbrannten die Leichen und die Häuser. 560 Tote, ein ganzes Dorf ausgelöscht.
Die Akten der Alliierten über die deutschen Kriegsverbrechen verschwanden für Jahrzehnte im „Armadio della vergogna“, dem „Schrank der Schande“ im Palazzo Cesi, dem Sitz der Militär-Generalstaatsanwaltschaft im Rom. Im Kalten Krieg nahm Italien Rücksicht auf den Handels- und NATO-Partner Deutschland, weswegen die deutschen Mörder geschont wurden. Erst Mitte der 1990er wurde der Schrank auf der Suche nach Akten zu Erich Priebke umgedreht und geöffnet.
Es folgten eine Reihe von Prozessen und Verurteilungen. Schließlich wurden die Ermittlungen zum Massaker von Sant’Anna di Stazzema neu aufgerollt und im Juni 2005 verkündete das italienische Militärgericht in La Spezia das Urteil: lebenslänglich für alle zehn Angeklagten, ehemalige Soldaten der 16. SS-Panzergrenadierdivision „Reichsführer SS“. Diese lebten davor, währenddessen und danach unbehelligt in Deutschland, wo sie alle nach und nach starben – sie wurden trotz ihrer rechtskräftigen Verurteilung nie nach Italien ausgeliefert.
2006 wurde der SS-Mann Max Josef Milde in Italien zu lebenslanger Haft verurteilt. Im Mai 2006 gab es bundesweit einen antifaschistischen Aktionstag gegen die noch lebenden Nazimörder von Sant’Anna. Der SS-Mann Gerhard Sommer bekam in Hamburg gleich mehrfach Antifabesuch, er starb 2019 als letzter der SS-Mörder von Sant’Anna. Wir fuhren damals zu Georg Rauch nach Rümmingen bei Lörrach und informierten die Nachbarschaft des Nazis über dessen Morde.
Am Beispiel Sant’Anna di Stazzema haben wir 2009 in unserem Communiqué „Politische Justiz in Stuttgart“ und am 10. September 2024 in einer Meldung „Ein Gruß an die Genoss*innen“ zu untergetauchten Antifas die doppelten Standards deutscher Staatsanwaltschaften kritisiert. Im ersten Fall wurden Antifas von derselben Stuttgarter Staatsanwaltschaft verfolgt, welche die Nazimörder zuvor unbehelligt ließ. Im zweiten Fall mussten tatverdächtige Antifas untertauchen, um nicht an Ungarn ausgeliefert zu werden, während die verurteilten Nazimörder nie an Italien ausgeliefert wurden.
Am 27. September 2024 wurde Maja dann tatsächlich nach Ungarn ausgeliefert – rechtswidrig, auf Betreiben der Berliner Generalstaatsanwaltschaft und des sächsischen LKA, in einer Nacht- und Nebelaktion. In Ungarn wurde Maja nach einem Hungerstreik, zu dem Maja die unmenschlichen Haftbedingungen trieben, kürzlich von der taz besucht.
Noch immer sind deutsche Behörden damit beschäftigt, die Täter von Sant’Anna di Stazzema und ihre Beschützer zu schützen. Zuletzt gab es einen erfolglosen Angriff der Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg (LfK) auf Radio Dreyeckland (RDL):
„80 Jahre nach dem Massaker von Sant’Anna di Stazzema hat Radio Dreyeckland das Feature ,Mai più Sant’Anne – nie wieder Sant’Anna!‘ veröffentlicht. Darin kommen u. a. Überlebende zu Wort, und die ausbleibende Bestrafung der Täter wird thematisiert. Ergänzend zu einem Interview mit der Anwältin der Nebenklage im Stuttgarter Verfahren, Gabriele Heinecke, wird erklärt: ,2002, also weitere 6 Jahre später, wurden die Ermittlungen von Oberstaatsanwalt Bernhard Häußler in Stuttgart übernommen. Dieser verschleppte die Ermittlungen, um das Verfahren nach 10 Jahren mangels Tatverdacht einzustellen. Die Täter alterten unbehelligt, 7 von 14 Beschuldigten waren 2012 schon verstorben. Häußler ermöglichte die Einstellung des Verfahrens, indem er die Taten als verjährenden Totschlag bewertete und keine individuelle Schuld feststellte. Nach dieser juristischen Auslegung habe sich das Massaker mutmaßlich spontan vor Ort ereignet.‘
Die Autor*innen haben sich mit ihrem Feature im November 2024 für den LfK-Medienpreis beworben, aufgrund mangelnder Einreichungen in ihrer Sparte wurde ihr Beitrag jedoch nicht zur Bewertung angenommen. Statt dessen eröffnete die LfK im Januar 2025 ein Verwaltungsverfahren gegen RDL. Der Grund: ,Verdacht des Verstoßes gegen journalistische Grundsätze‘. ,Dabei fällt der Satz, der zuständige Oberstaatsanwalt habe das Verfahren verschleppt, um es später einzustellen‘, monierte das anonyme ,Team Aufsicht‘ der LfK. Dadurch könnten die journalistischen Grundsätze ,der Prüfung von Nachrichten auf Wahrheit und Herkunft‘ sowie die ,Bestimmungen über den Ehrschutz‘ verletzt worden sein. Zu Unrecht wird in dem Schreiben bemängelt, der Vorwurf der Verschleppung werde ohne Begründung und Kontext in den Raum gestellt. Die LfK drohte mit ,Aufsichtsmaßnahmen – etwa eine förmliche Beanstandung bestimmter Sendeanteile‘. RDL forderte Akteneinsicht und lieferte mit Unterstützung des Anwalts Benjamin Lück eine Stellungnahme. Daraufhin brauchte es ein halbes Jahr und mehrere Nachfragen, bis die LfK am 16. Juli endlich mitteilte, das Verfahren sei eingestellt.“
Ora e sempre resistenza!